In der feministischen Bildungsreihe Feminism Recaptured diskutieren wir feministisches Streiten ausgehend von Texten und verschiedenen Streitstücken. Barbara Rendtorff schreibt im Text Feminismus als Dissens:
Als wir Dissens als Normalzustand (an)erkannt hatten, waren wir der Notwendigkeit enthoben, konsensuell einig zu sein – konnten aber situativ und pragmatisch gemeinsam handeln. Nicht nur trafen sich in der Frauenschule Gruppen von Frauen verfeindeter Länder, Glaubensrichtungen oder konträrer politischer Ansichten zur Diskussion, auch wir im Team mussten nicht einig sein, allenfalls kompromissbereit in pragmatischer Hinsicht (auch wenn mich eine Veranstaltung inhaltlich nicht interessiert, kann ich doch den anderen helfen, die Stühle in den Saal zu räumen). Auch eine echte Kompromissbereitschaft ist ja ein Erbe des ›Dissensprinzips‹, sofern dieses auf der grundsätzlichen Anerkennung von Positionen beruht, die sich von der meinigen unterscheiden, verbunden mit dem ebenso grundsätzlichen Wissen, dass auch ich im Irrtum und Fehleinschät- zungen unterlegen sein könnte, was mir die ernsthafte Auseinandersetzung mit der Position des Anderen zwingend abverlangt – ein ›Dissensprinzip‹ bedeutet also Erleichterung, Freiheitsgewinn und Verpflichtung zugleich. (Das ähnelt ein wenig der Unterscheidung von Toleranz und Solidarität bei Zygmunt Bauman, wobei Toleranz letztlich aus der Gleichgültigkeit gegenüber der Anderen gebildet ist, Solidarität aber die aktive Auseinandersetzung mit ihr und die Anerkennung ihres ›Rechts auf seine Fremdheit‹ erfordert; vgl. Bauman 1995, 287). Die Grenzen der Kompromissbereitschaft, die Momente an denen die Unversöhnlichkeit der Positionen mich zwingt, jede Möglichkeit zur Zusammenarbeit aufzukündigen, müssen also ebenso sorgfältig und differenziert formuliert und diskutiert werden wie die Voraussetzungen für Kompromissfähigkeit selbst, und gerade darin liegt das theoriebildende und politische Potential.
https://www.genderopen.de/bitstream/handle/25595/658/fs-2013-0129.pdf?sequence=1