Argumentarium

1. Der Care-Sektor subventioniert den Rest der Wirtschaft – und zwar mit schlecht bezahlter und unbezahlter Arbeit.

Was ist damit gemeint?

  • Unser Wirtschaftssystem ist darauf angewiesen, dass sich Menschen um andere Menschen kümmern, weil es sonst einfach gar keine Menschen gäbe, die arbeiten können…
  • … aber will dafür nicht angemessen bezahlen.
  • Darum subventionieren eigentlich wir, die wir Care-Arbeit unbezahlt oder schlecht bezahlt leisten den Rest der Wirtschaft. Nicht etwa umgekehrt (wie es sein sollte).

Care-Arbeit ist die Arbeit, die es braucht, damit Menschen leben können. Es ist die Hausarbeit, das tägliche Kochen und Putzen, das Kümmern und Zuhören, die Fürsorge für die Kinder und die Pflege von kranken Angehörigen und vieles mehr. Es ist auch die berufliche Pflege, Betreuung in Horten und Krippen, die Reinigungsbranche, die Schulen. Care kann also bezahlte oder unbezahlte Arbeit sein. Der springende Punkt dabei ist, dass ohne Care-Arbeit gar nichts mehr gehen würde, auch die profit-orientierte Wirtschaft nicht. Dass also unsere Gesellschaft und eben auch die profit-orientierte Wirtschaft darauf angewiesen sind, dass sich Menschen um andere Menschen kümmern, dass Menschen Care-Arbeit leisten. Aber dass für diese Arbeit nicht richtig bezahlt werden will. Das meinen wir damit, wenn wir sagen, dass der Care-Sektor den Rest der Wirtschaft subventioniert, statt dass dieser eben umgekehrt für das bezahlen würde, was er braucht.

Wir fordern die ausreichende Finanzierung dieser Hälfte des Wirtschaftens!

Und was hat das mit Frauen zu tun?

Das Thema betrifft uns alle, aber Frauen sind damit in besonderer Weise konfrontiert.

Frauen machen immer noch den grössten Teil der Hausarbeit und arbeiten am meisten im prekarisierten Care-Bereich. Viele Frauen möchten aber gerade in diesen Bereichen arbeiten und wollen sich zum Beispiel Zeit nehmen Zeit für den Haushalt und für die gegenseitige Hilfe und Unterstützung.

Vor diesem Hintergrund sagt die Ökonomin Mascha Madörin: «Frauen sind erpressbar, weil sie ‘wissen gelernt’ haben, dass es viele Dinge gibt, die einfach getan werden müssen, sollen Menschen leben können.» Darum unterscheidet sich ein Frauenstreik auch von anderen Streiks: Wenn die Piloten ihre Arbeit niederlegen, dann leidet die Wirtschaft. Wenn Frauen die Arbeit niederlegen, dann leiden Menschen.

Die Ablehnung dieser Arbeit bringt uns nicht weiter, aber einfache Anerkennung genügt ebenfalls nicht. Wir müssen materiell besser abgesichert sein.

Und es ist noch viel perfider: Unser System schafft zwei Klassen von Frauen. Frauen, die gut bezahlte Jobs haben und Karriere machen und dabei angewiesen sind auf Frauen, die schlechter bezahlt sind, auf Frauen, die ihnen die Hausarbeit abnehmen, Kinder und pflegebedürftige Angehörige betreuen.

Der Kostendruck im Gesundheits- und Betreuungswesen führt dazu, dass immer mehr Menschen unter sehr schlechten oder sogar illegalen Bedingungen (nicht angemeldete Arbeit etc.) in diesem Bereich arbeiten. Gerade Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus und illegalisierte Menschen können sich nicht zur Wehr setzen.

Oftmals wird dann gesagt, dass Frauen auf Kosten von anderen Frauen Karriere machen. Wir nehmen von dieser individualisierten Perspektive Abstand, denn: Es ist unser Wirtschaftssystem, das weiterhin auf Kosten von Frauen funktioniert. Es sind die gesellschaftlichen und wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, die diese Situation und damit die Konkurrenz unter Frauen befördern.

Wir wollen nicht gegeneinander ausgespielt werden.

2. Wir wollen keine Kosten senken – Care ist kostbar!

  • Care-Arbeit ist kostbar, nicht teuer.
  • Sie ist kein frivoles Luxusprodukt, sondern ein zentraler gesellschaftlicher Wert, eine Notwendigkeit.
  • Care-Arbeit kann keine Profite abwerfen – das sollte eigentlich klar sein (aber mehr dazu unten).
  • Wir wollen überhaupt nicht sparen im Care-Sektor, denn wir sind eigentlich viel zu billig.

Die Bedeutung des Wohlfahrtstaates ist genau die, dass eine Gesellschaft sagt: Wir wollen uns Bereiche leisten, die keinen Profit abwerfen müssen. Heute aber hören wir jeden Tag von „Kostenexplosionen“ und allerlei Krisen im öffentlichen Sektor. Damit entsteht der Eindruck, es sei ein Problem, dass dieser Sektor etwas koste. Es entsteht der Eindruck, der Wunsch nach einem guten Leben, wo Menschen sinnvoll und gut arbeiten können, Kinder gut betreut werden, Kranke die notwendige Fürsorge erhalten, sei ein exorbitanter Luxus. Diese Umkehrung weisen wir zurück. Es gibt keine „Care-Krise“. Das Problem liegt in einer spezifischen Organisation unseres Wirtschafts- und Sozialsystems, für die jedes Arbeiten und sogar das Leben Profit abwerfen soll. Das ist der Grund, warum wir heute immer hören, es sei kein Geld da für Ausgaben für Bildung, Sozialwesen, Kinderbetreuung und Pflege. Das ist ein Witz! Es ist ein künstlich hergestellter Kostendruck, der sich spezifischen politischen Entscheidung verdankt.

Wir fordern das Ende der Restrukturierungen im Namen eines künstlichen Kostendruckes!

Woher kommt dieser Kostendruck? Was ist hier passiert?

Der bezahlte Care-Sektor macht heute rund 30 Prozent der Geldwirtschaft aus. Fast ein Drittel unserer Geldwirtschaft kann also nicht profitorientiert organisiert werden. Man kann zum Beispiel die Primarschule nicht wie eine Autofabrik rationalisieren. Wir werden auch nicht schneller gesund, wenn wir wie am Fliessband abgefertigt werden. Aber genau dies wird heute versucht. Und zwar indem die Logik der Güterproduktion auf den Care-Sektor übertragen wird mit fundamentalen Auswirkungen auf die Gesellschaft und vor allem auf die Frauen. Denn 80 % der im Care-Sektor Beschäftigten sind Frauen. Und 60 % aller Frauen arbeiten im Care-Sektor. Was im Care-Sektor passiert, bestimmt die Zukunft der Frauen.

  • Care-Arbeit ist etwas anderes als Güterproduktion. Kinderkrippe ≠ Autofabrik
  • Der Care-Sektor kann also auch nicht gleich organisiert werden wie der industrielle Sektor. Produktivitätssteigerung funktioniert hier nur in geringem Mass.
  • Care-Arbeit kann keine Profite abwerfen und das wäre an sich noch kein Problem.
  • Es wird erst zum Problem (für uns), wenn der Care-Sektor Profite abwerfen soll. Denn dies passiert durch eine Umstrukturierung unserer Arbeit auf unsere Kosten.

Ein kurzer Rückblick zur Erläuterung: Solange unsere Produktion zum wesentlichen Teil Industrieproduktion war, konnte die Produktivität gesteigert werden durch technische Innovation und Rationalisierung. Mit schnelleren oder grösseren Maschinen konnte die Stückzahl pro Zeiteinheit erhöht werden – Produktivitätssteigerung war möglich. (Damit liess sich ein historischer Kompromiss halten: Nämlich dass die Unternehmen gute Löhne zahlen und die Arbeitenden die in diesem System produzierten Güter auch selbst kaufen konnten.) Seit der Wirtschaftskrise Mitte der 1970er Jahre funktioniert das nicht mehr, der industrielle Sektor nimmt ab, die Profitraten sinken. Der Care-Sektor hingegen nimmt zu, hier kann aber die Produktivität nicht wie in der Industrie gesteigert werden.

Es gibt also „divergierende Produktivitäten“, das heisst die Ergiebigkeit dieser Sektoren ist unterschiedlich, nicht gleich. Das wäre an und für sich noch kein Problem. Eine Gesellschaft könnte sich auch sagen: „Aha ja klar, diese Sektoren sind verschieden und müssen also auch unterschiedlich organisiert werden. Als Wohlstandsgesellschaft leisten wir uns einen gut ausgebauten öffentlichen Care-Bereich, weil das gesamtgesellschaftlich erwiesenermassen von Vorteil ist.“ Doch genau dies passiert nicht. Der Care-Sektor ist zu einem ökonomisch hochbrisanten battleground geworden. Es wird versucht, im Care-Sektor die Produktivitätszuwächse und damit die Profite mit andern Mitteln wieder herzustellen. Diesen Versuch bezeichnen wir als Neoliberalismus. Welche Mittel wendet der Neoliberalismus an? Er führt die Logik der Güterproduktion in den Care-Sektor ein und führt so zu einer fundamentalen Umstrukturierung unserer Arbeit.

  • Wir wiederholen: Care-Arbeit ist etwas ganz anderes als Güterproduktion.
  • Und deshalb gehören Managementtools aus der Güterproduktion nicht in den Care-Sektor.
  • Auch wettbewerbliche Steuerung gehört nicht in den Care-Sektor.
  • Qualitätsmanagement, Monitoring, Controlling etc. sind für den Care-Sektor völlig ungeeignete Instrumente.

Die Schule, das Spital, die Heime und die Krippen gehören uns. Wir wollen keine Profite abwerfen!

Situation in den verschiedenen Bereichen:

Kinderbetreuung

Die ganze Branche ist komplett unterfinanziert. Wie kann das sein?
Der Grund ist die Einführung der Marktlogik in der Kinderbetreuung.
Aber: Kinderbetreuung wird im Wettbewerb nur billiger, wenn die Lohnkosten tief gehalten werden.

Die professionelle Kinderbetreuung ist ungenügend finanziert. Die Budgets von öffentlichen Krippen sind so knapp gehalten, dass der Stellenplan mit ungelernten und günstigen Praktikantinnen, wenigen Praktikanten und Zivis besetzt werden muss. Das knappe Budget hat zur Folge, dass die Krippenleiterinnen zum Beispiel nicht genug Geld zur Verfügung haben, um mit den Kindern Ausflüge oder Theaterbesuche zu organisieren. Sie müssen das Geld bei den Eltern erbitten oder verzichten.

Die ganze Branche ist komplett unterfinanziert. Warum ist das so?

Weil die Marktlogik nicht nur in der privaten, sondern auch in der öffentlichen Kinderbetreuung Einzug hält. Kinderbetreuung wird im Wettbewerb nur billiger, wenn die Lohnkosten tief gehalten werden. Das bedeutet: In diesem Bereich tätige Berufsfrauen werden ausgebeutet, so dass ihr Lohn nicht mehr ausreicht für den Unterhalt ihrer eigenen Kinder und für sie selbst. Gleichzeitig wird ihnen eingeredet, sie seien immer noch zu teuer. Die Rhetorik der Betriebswirtschaft macht den finanziellen Druck akzeptabel. Und erdrückt die gute Arbeit.

Kindererziehung und Betreuung wird heute von der Betriebswirtschaft als Produkt – als „Kinderpauschale“ – definiert und berechnet. Bezahlt wird dieses „Endprodukt“ und nicht die Leistung von ausgebildeten Fachfrauen (und einigen wenigen Fachmännern). Der Preis dieses „Endprodukts“ soll auf einem Markt vergleichbar sein und den Wettbewerb ankurbeln. Das günstigste „Produkt“ soll in dieser Logik auf dem Betreuungsmarkt Gewinn abwerfen. Auf diese Weise werden von staatlicher Seite Quasi-Märkte eingeführt und das Wettbewerbsprinzip wird auch in Sektoren eingeführt, wo eigentlich gar kein Markt existiert. Denn für Eltern ist die Wahl sehr begrenzt. Sie können ja ihr Kind nicht irgendwo in den Hort schicken (so wie wir die billigsten Schuhe von irgendwoher auf der Welt bestellen können). Sie und ihre Kinder brauchen eine gute Betreuung an ihrem Wohnort.

Die Logik von Produkten und Profiten hat bei unseren Kindern nichts verloren. Kinder brauchen weder Produkte noch Profite, sie brauchen Zeit, Vertrauen, Empathie, fachliche Fürsorge, Erziehung und Förderung.
Es gibt keinen echten Kostendruck im Care-Bereich.
Dieser wird mit dem künstlichen Wettbewerb erzeugt, mit dem Ziel die Produktivität zu steigern und Profite zu erzielen.

Produktivität macht keinen Sinn in der Betreuung oder Pflege von Menschen. Produktivitätssteigerung ist eine Grösse aus dem Industriebereich. Im Care-Bereich kann die Güte der Arbeit (Qualität) bei gleichbleibender Produktivität nicht gesteigert werden, weil der Zeitaufwand nicht beliebig standardisierbar ist. Es kann nicht schneller betreut oder gepflegt werden. Das „Produkt“ Bildung oder Betreuung lässt sich nicht automatisieren oder rationalisieren. Es ist überhaupt kein Produkt. Die einzige Möglichkeit namhaft Ausgaben zu streichen, ist die Reduzierung der Lohnsumme. Das geschieht durch die Reduktion von Personal (Betreuungsschlüssel) und durch den Einsatz von weniger gut ausgebildetem Personal und PraktikantInnen. Die Belastung der einzelnen Pflegenden, Betreuenden, Lehrpersonen wird umso grösser.

Pflege

Alle Menschen haben ein Recht auf eine angemessene Betreuung und Gesundheitsversorgung.
Die nötige Finanzierung ist Aufgabe des Staates. So steht es in unserer Verfassung.
Das ist ein Versprechen, das gehalten werden muss.

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft Art. 41:
Bund und Kantone setzen sich in Ergänzung zu persönlicher Verantwortung und privater Initiative dafür ein, dass:
b. jede Person die für ihre Gesundheit notwendige Pflege erhält.

In der Pflege herrscht seit Jahrzehnten konstant Personalmangel. Anstatt genügend Fachleute auszubilden wurden und werden finanzielle und personelle Ressourcen investiert für den Aufbau einer gigantischen Codierungs- und Kontrollbürokratie.

Mit ausgeklügelten Codierungen von medizinischen Leistungen wird ein Abrechnungssystem bedient, um die Fallpauschalen möglichst effizient zu nutzen. Die pflegerische Leistung ist in den Fallpauschalen nicht enthalten. Wie gut die Pflegenden ihre Basisarbeit am Bett der Patientinnen und Patienten unter immer stressiger werdenden Arbeitsbedingungen machen, bleibt ihnen überlassen.

Die Kontrollbürokratie dient der Kontrolle der Prozessabläufe, nicht der Qualität der Pflege. Höher Ausgebildete kontrollieren und überprüfen Pflegedokumentationen und Leistungserfassungen, welche die Pflegenden machen müssen. Für die direkte Pflege am Bett wurden andere Berufsgruppen geschaffen, zum Beispiel die Fachfrauen und Fachmänner Gesundheit. Diese Segmentierung des eigentlichen Pflegeberufes hat zu Lohneinsparungen und zu Qualitätsabbau geführt.

Wenn Pflege-Arbeit nach betriebswirtschaftlicher Logik organisiert wird, werden fortwährend Prozessabläufe „optimiert“. Die Basisarbeit am Bett hat keinen Platz in dieser Logik, ihr wird immer weniger Wertschätzung entgegengebracht. Wichtig ist nur noch die Kontrolle von Prozessen. Die zeitintensive Pflegarbeit am Körper der anvertrauten Patientinnen und Patienten soll billiger werden, heisst es. Das wird sie aber nur, wenn die Zeit am Bett und die Löhne der Ausführenden reduziert werden. Eben genau, weil man sie nicht in der gleichen Art steigern kann wie eine industrielle Tätigkeit.

Soll Pflege-Arbeit billiger werden, bedeutet das, dass die Zeit am Bett und die Löhne der Pflegenden reduziert werden.
Gerechtfertigt wird dies durch die Rhetorik der Betriebswirtschaft, die im Care-Sektor nichts verloren hat.
Diese Entwicklung muss gestoppt werden.

Schulen und Berufsbildung

Lernen ist Beziehung.
Es braucht ausreichend (bezahlte) Zeit für die Entwicklung guten Unterrichts und für die Pflege von Lernbeziehungen, statt kontrollierbare Prozesse ohne Inhalt.

Mit dem neuen Finanzierungssystem für die Schulen werden „Schülerpauschalen“ eingeführt. Darin inbegriffen sind alle Aufwendungen für den Unterricht und die Löhne der Lehrpersonen. Wie diese Schülerpauschalen berechnet werden, ist für Lehrerinnen und Lehrer nicht einsehbar. Ihr Pensum berechnet sich an Berufsfachschulen neu beispielsweise nach Lektionen. Eine Lektion ist mit 1.6 Arbeitsstunden bemessen. Die Verdichtung der Arbeit nimmt jedoch kontinuierlich zu. Es bleibt der einzelnen Lehrperson vorbehalten wie sie das Arbeitsvolumen in der Anzahl Lektionen ihres Pensums unterbringt.

Wie passiert die Verdichtung der Arbeit? Neben der zunehmenden Prozessbewirtschaftung (Befragungen ausfüllen, Befragungen durchführen, Massnahmen formulieren usw.) werden den Lehrpersonen neue Aufgaben, welche an anderen Orten (Stichwort Mediathek) eingespart worden sind, übertragen. Zusatzlektionen (sog. Entlastungslektionen) für Aufgaben ausserhalb des Unterrichts müssen zunehmend reduziert werden, weil diese nicht mehr nach Aufwand, sondern nach Schülerpauschalen berechnet werden. Die Folge ist, dass viele Lehrerinnen und Lehrer auf der Sekundarstufe II ihr Pensum unfreiwillig reduzieren, um einer Überlastung zu entgehen.

Spätestens seit der ersten PISA-Studie im Jahr 2000 wird versucht, schulische Leistungen in ein standardisiertes Korsett zu zwängen und dadurch messbar zu machen. Was als Vergleich von sogenannten Kompetenzen (wie Lesefähigkeit oder mathematischem Problemlösen) begann, hat in der Zwischenzeit auf das ganze Bildungssystem übergegriffen. Überleitung zu Rückmeldungen Kaum eine Schule, in der es keine Bewertung von Lehrpersonen durch Schülerinnen und Schüler gibt. Das Kinder und Jugendliche ihre Meinung zum Unterricht äussern dürfen, ist wünschenswert. Differenzierte Rückmeldungen direkt, im Austausch mit der Klasse unterstützen Lehrpersonen bei der Weiterentwicklung ihres Unterrichts. Was problematisch ist, sind standardisierte Fragebögen, meistens online und anonym ausgefüllt, die zusammen mit Mitarbeitergesprächen direkten Auswirkungen auf den Lohn der Lehrpersonen haben. Dies kann dazu führen, dass diese ihr Verhalten oder ihren Unterricht ändern, um eine günstigere Bewertung zu erhalten, was letztlich auf Kosten der Unterrichtsqualität geht. Hier wird ein zusätzlicher unnötiger Druck auf Lehrpersonen ausgeübt ohne dass der geringste Vorteil entsteht.

Es ist wichtig, genau zu schauen, was an den Ausbildungszentren für Pflegeberufe passiert. Dort ist die Umsetzung des New Public Management sehr weit fortgeschritten. Das hat historische Gründe. Die Pflegeberufe sind erst vor ungefähr 15 Jahren überhaupt ins duale Berufsbildungssystem integriert worden. Vorher waren die Pflegerinnenschulen dem Roten Kreuz unterstellt. An den neuen Schulen für Pflegeausbildungen konnten New-Public-Management-Instrumente von Anfang an eingerichtet werden. Angefangen bei der Zentralisierung auf einzelne Ausbidlungszentren (zwei im Kanton ZH, ZAG und Careum). Diese Zentralisierung will der Kanton jetzt bei allen Berufsausbildungschulen einführen, indem er so genannte Kompetenzzentren errichtet. Dann werden beispielsweise alle Bauberufe, alle Elektronik-Berufe etc. an einem Ort zusammengelegt. Die Berufsfachschulen und die Gemeinden haben sich bis jetzt erfolgreich gegen solche Verschiebungen gewehrt.

Das Pikante am Ganzen: Pflegeausbildungen waren früher nie vom Biga (heute Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation, SBFI) anerkannt – das hatte aus heutiger Sicht Vor- und Nachteile. Sobald sie nämlich den andern Berufsausbildungen gleichgestellt waren (endlich!), exemplifizierte man an ihnen die Einführung eines Betriebswirtschaftssystems – mit Zustimmung aller beteiligten Pflegefachleute.

Der Druck, Ausgaben zu reduzieren ist an Schulen riesig und New Public Management geniesst politisch und gesellschaftlich hohe Akzeptanz. So hat der Staat, NPM noch konsequenter als manche Private umgesetzt. Die Finanzierungssystem sind hoch komplex und für Laien schwer nachvollziehbar. Wir an der Basis bemerken einfach die Auswirkungen. Es wird uns vom Rektorat als unabänderlicher Fakt vermittelt, von dem alle gleich betroffen sind. Auch das Rektorat.

Praktika zerstören unser Berufsbildungssystem
Wir fordern die Abschaffung von Praktika.

In einigen Berufsfeldern, vor allem in der Pflege, der Betreuung und dem Detailhandel sind längere unabhängige Praktika, z.T. bis zu zwei Jahren üblich geworden, obwohl das Berufsbildungsgesetz (BBG) vorsieht, dass Berufslehren in der Regel direkt an die obligatorische Schulbildung anschliessen. Die Praxis der unabhängigen Praktika unterwandert damit unser Berufsbildungssystem. Auch werden deutlich mehr Praktikanntinnen und Praktikanten eingestellt, als es Ausbildungsplätze gibt, was eine Situation der Konkurrenz unter ihnen schafft. Sie stehen im Wettbewerb um knappe künftige Ausbildungsplätze – sich zu befreunden oder zu solidarisieren ist da sehr schwierig. Und wer da nicht mitmachen will, kann ja gehen… Unter dem Argument, sie könnten mit Praktikas Erfahrungen gewinnen, werden Jugendliche als billige Arbeitskräfte eingesetzt, um damit die Lohnkosten zu senken.

Unsere Arbeit lässt sich nicht mit betriebswirtschaftlichen Instrumenten standardisieren.
Erfahrung und Wissen sind die einzige Garantie für einen guten Standard.
Wir fordern den Abzug des Managements aus dem Care-Sektor.
Sorge- und Fürsorgearbeit ist nicht rationalisierbar. Schneller betreuen, pflegen, unterrichten ist nicht möglich und ohne Sinn. Wir brauchen Arbeits- und Rahmenbedingungen, in denen wir unser Erfahrungswissen austauschen, weitergeben und aufbauen können.

Das so genannte Qualitätsmanagement optimiert lediglich die Prozessabläufe. Die gute Arbeit interessiert dabei nicht. Gute Ergebnisse – wieder hergestellte Gesundheit zum Beispiel – werden nicht durch optimierte Prozesse, welche berufsfremde Leute definieren, erzielt, sondern durch unsere berufliche Praxis, welche auf Erfahrung und Wissen beruht. Heute sind wir gezwungen, einen grossen Teil unserer Arbeitszeit dafür aufzuwenden, Prozesse zu bedienen. Gleichzeitig wird das Personal immer knapper. Wenn wir also immer noch gute Arbeit leisten wollen, droht unweigerlich Überlastung. Das ist der Grund für die zunehmenden Burnouts und Erschöpfungsdepressionen.

3. Stopp der Disziplinierung:
Wir wehren uns gegen die Massregelung unserer Berufe!

  • Wir wissen selber, was gute Care-Arbeit ist.

  • Wir fordern das Ende der Berufsenteignung und der Bevormundung.

  • Wir wehren uns gegen die Massregelung unserer Berufe.

Wir haben eigene Gütekriterien für unsere Arbeit, die wir anwenden und weiterentwickeln wollen. Wir wollen befreit werden von ressourcenbindenden Prozessabläufen des Qualitätsmanagements. Wir wollen befreit werden von Kennziffern und Benchmarking, Evaluationen, Feedback und Massnahmen-Formulieren. All diese Begriffe machen Berufsfrauen und -männer im Care-Bereich mundtot und unsere fachliche Erfahrung und unser fachliches Wissen unsichtbar. Wir wollen von uns selbst ausgehen, unsere Praxis ins Zentrum rücken.

Wirkung ist nicht Effizienz
Geduld ist nicht Faulheit
Gespräche sind nicht teuer
Sorgfalt ist nicht ‚vintage‘
Intuition ist nicht irrational
Erfahrung ist nicht Willkür
Kostendruck schafft keine Transparenz
Berufsausbildung ist nicht praxisfremd
Engagement und Leidenschaft sind kostbar und Empathie ist nicht unrentabel
Fürsorge ist nicht kumulierbar
Bedürfnisse sind nicht vorhersehbar
Genug ist keine Verschwendung

4. Managementtools aus der Güterproduktion gehören nicht in den Care-Sektor!

Wir fordern die Rücknahme der Fallpauschalen und fordern an ihrer Stelle die Bedarfsfinanzierung: Alles, was gearbeitet wird, soll auch bezahlt werden!
Wir wollen ein staatlich finanziertes Gesundheits-, Bildungs-, Sozial- und Betreuungswesen, das für alle gratis ist und das keinem künstlichen Kostendruck ausgesetzt ist!

Was haben Fallpauschalen mit dem Patriarchat zu tun? Ein historischer Rückblick zur Erläuterung

Historischer Kontext: Mitte der 1970er Jahre führten nachhaltige Veränderungen der weltwirtschaftl. Rahmenbedingungen (Zusammenbruch des internationalen Währungssystems, Erdölpreisschock, verbesserte Wettbewerbsfähigkeit der sog. Schwellenländer) zu einem ausserordentlich schweren wirtschaftlischen Einbruch in der Schweiz. Danach setzte ein Strukturwandel ein, ein Prozess der Umwandlung einer Industriegesellschaft hin zur Dienstleistungsgesellschaft ein. Das wird als Tertiärisierung bezeichnet, weil der Dienstleistungssektor gemeinhin als dritter Sektor gilt neben Rohstoffgewinnung und Rohstoffverarbeitung. Dienstleistung heisst: Menschen arbeiten für andere Menschen und erfüllen diesen Wünsche. Dafür bekommen sie Geld. Bei der Care-Arbeit nun geht es um personenbezogene Dienstleistungen, das heisst um Dienstleistungen, die ohne Gegenwart der EmpfängerIn der Dienstleistung nicht möglich sind. Einfach gesagt: Menschen müssen dafür DA sein, genug Zeit ist notwendig. Personenbezogene Dienstleistungen können daher auch im Lohnarbeitssektor nur in geringem Umfang rationalisiert werden. Sie bedürfen eines hohen Arbeits- und Personalaufkommens, das nicht beliebig gekürzt werden kann. Die Politologin Silke Chorus spricht von einem „doppelten Produktivitätsdilemma“. Der Sektor, in dem Produktivitätssteigerungen möglich waren, nimmt ab, während gleichzeitig der Sektor zunimmt, in dem es nur wenig Möglichkeiten zur Produktivitätssteigerung hat. Dadurch verschärft sich das Problem der sinkenden Produktivitätsraten gesamtwirtschaftlich. Neoliberale Restrukturierungen müssen deshalb im Wesentlichen als Antworten auf dieses Dilemma verstanden werden. Was im Care-Sektor geschieht, ist also weitestgehend davon geprägt, wie die Wirtschaft auf dieses doppelte Produktivitätsdilemma reagiert.

  • Ökonomisierung passiert nicht nur über Privatisierung

  • Es ist der Staat selbst, der unsere Arbeit umgestaltet.

  • Es geht also um politische Entscheidungen.

Wir stellen fest, dass der Care-Sektor mehr und mehr ökonomisiert worden ist. Dabei geht es nicht nur um den stetigen Spardruck oder um die verschiedenen Privatisierungsbestrebungen. Es geht uns um etwas, was schwieriger zu fassen ist: Um die Umgestaltung der Arbeit, die auch dort stattfindet, wo nicht privatisiert wird. Diese passiert, indem eine sachfremde Logik in den Care-Sektor eingeführt wird: die Logik der Güterproduktion. Im Neoliberalismus geht es dann darum, das Marktprinzip im ganzen Sozialsystem zu verallgemeinern. Der Staat übernimmt heute genau diese Funktion, indem er im Sozialbereich Quasi-Märkte einführt, um das Wettbewerbsprinzip auch dort zu generalisieren, wo kein Markt existiert. Bei der Generalisierung des Markprinzips geht es nicht lediglich um die Frage von privatwirtschaftlichen Profitinteressen, es geht um eine Form der politischen Steuerung, die unsere Arbeit fundamental umgestaltet und in eine Warenförmigkeit überführt. Dies zeigt sich zum Beispiel ganz zentral an der Einführung von Fallpauschalen.

  • Die Fallpauschale ist ein Beispiel, wie die Logik der Güterproduktion in den Care-Sektor eingeführt wurde.

  • Die Einführung der Fallpauschale hat unsere Arbeit fundamental verändert.

  • Sie hat verändert, was als Qualität gilt.

  • Sie hat uns unsere Zeit gestohlen.

  • Sie hat unser professionalles Know-How und unsere Fähigkeit zu einem professionellen Urteil unter Verdacht gestellt.

  • Die Fallpauschale hat uns als Berufsfrauen entmündigt.

Fallpauschalen sind ein Beispiel, wie die Logik der Güterproduktion in den Care-Sektor eingeführt wurde. Sie sind auch ein Beispiel wie die Warenförmigkeit von Care-Dienstleistungen vom Staat selbst eingerichet wurde. (Ökonomisierung passiert also nicht nur bei Privatisierungen.) Zuerst wurde diese Art der Klassifikation eingeführt, um Leistungen gegen aussen auszuweisen und Ausgaben zu rechtfertigen. Doch dann wurde aus diesem System ein prospektives Abrechnungssystem mit gravierenden Auswirkungen. Die unendliche Vielzahl von Patientinnen und Patienten wurden in eine beschränkte Anzahl klar definierter Produkte umgewandelt. Nicht mehr die real erbrachten Arbeitsleistungen konnten jetzt in Rechnung gestellt werden, sondern nur ein „kohärentes Produkt“. Unterschiede im ärztlichen und pflegerischen Handeln mutierten zu „statistischen Abweichungen“. Das „professional judgement“, das fachliche Urteil galt nicht mehr als zentrales Element der Heilkunst sondern gab Anlass zu Misstrauen. Was als Qualität gilt, wurde damit fundamental neu bestimmt. Um eine „gute Leistung“ zu erbringen, mussten wir von nun an unsere Arbeit in die Form eines klar definierten Produktes bringen. Was in der Güterproduktion tatsächlich Ausdruck von Qualität ist, nämlich dass das Produkt auch wirklich so aussieht, wie es im Katalog abgebildet ist, macht für die Care-Arbeit keinen Sinn. Hier geht es um personenbezogene Dienstleistungen und damit um eine nicht-reduzierbare Komplexität, der wir individuell, von Fall zu Fall gerecht werden wollen. Für unsere Arbeit wäre also genau die Variablität, die Veränderlichkeit, das Eingehen auf Situationen ein Merkmal von Qualität. Doch genau das wird uns verunmöglicht. Wenn wir es doch tun, dann geht es auf unsere Kosten. Die Einführung der Fallpauschale hat das Terrain des professionellen Handelns fundamental umgestalt. Und deshalb:

Wir fordern die Rücknahme der Fallpauschalen und an ihrer Stelle die Bedarfsfinanzierung: Alles, was gearbeitet wird, soll auch bezahlt werden!

Um Care-Arbeit angemessen zu bezahlen, muss sie nicht in eine Warenförmigkeit überführt werden. Es ist auch nicht so, dass die Care-Arbeit warenförmig wurde, seit sie (zum Teil) bezahlt wird. Die Warenförmigkeit ist vielmehr die Folge einer künstlich hergestellten Knappheit, die sich politischen Entscheidungen verdankt. (braucht es wohl nicht)

Warum konnte das unter unseren Nasen passieren?

  • Das ist ja das Fiese.

  • Die Umstrukturierung unserer Arbeit kam mit dem Versprechen einer Modernisierung und Professionalisierung daher.

  • Wer will schon nicht modern sein.

  • Wir dachten auch: Wenn wir unsere Arbeit als Produkt definieren, ist endlich sichtbar, was wir arbeiten. Dann wird unsere Arbeit gewürdigt und besser bezahlt.

  • Das Gegenteil ist passiert. Nicht wir verdienen mehr, sondern ein häufig berufsfremdes Management, das uns überstellt wird.

Aus diesem Grund sagen wir: Manager haben nichts im Care-Sektor zu suchen! Wir verstehen die Manager als Metapher einer modernen Form der Entmündigung von Frauen. Ein häufig berufsfremdes Management wird über das Know-How, die Erfahrungen und die Professionalität der Berufsfrauen gestellt. Im Namen von „Modernisierung“ und „Professionalisierung“ wurden neue Rahmenbedingungen geschaffen, die gute Arbeit und ein gutes Leben für alle verunmöglichen. Gleichzeitig sind diese neuen Rahmenbedingungen beinahe unsichtbar, weil es scheint, als hätten wir sie selbst gewählt, weil wir uns für Emanzipation, Selbstbestimmung, Versachlichung und Transparenz entschieden haben. Das ist die neue Form des Patriarchats.

  • Woran es uns heute fehlt, sind nicht Handys und Kühlschränke.

  • Woran es uns fehlt, ist die Zeit.

  • Die Zeit, die Grossmutter zu besuchen, mit den Kindern zu spielen, uns zu engagieren, eine Angehörige zu pflegen.

  • Unsere Zeit wird immer knapper und es wird immer schwieriger, den Finger darauf zu legen, was uns die Zeit stiehlt.

  • Frauen verbringen 4/5 (!) ihrer Lebensarbeitszeit im Care-Sektor.

  • Was in diesem Sektor geschieht, ist also absolut zentral für die Frauen.

Berufsfachfrauen müssen zu ihrer eigenen Berufssprache zurückfinden. Sie haben sich der Ökonomie in ihren Fachbereichen geöffnet und die Terminologie der Betriebswirtschaft übernommen.

Wir wollen gute Arbeit machen. Wie wir es in unserer Ausbildung gelernt haben. Wir wollen keine Organisation unserer Arbeit durch die Betriebswirtschaft.

Wir wollen Autonomie in unserer Berufsarbeit!

Wettbewerbliche Steuerung gehört nicht in den Care-Sektor!

Dies alles sind für den Care-Sektor völlig ungeeignete Instrumente!
– Benchmarking
– Ziel- und Leistungsvereinbarungen
– Lean Management
– Ranking
– Audits
– Controlling
– Contract-Management
– Monitoring
– Qualitätsmanagement

Wir fordern die Aufgebung aller prospektiven Abrechnungssysteme!
Wir fordern die Abschaffung von lohnrelevanten Qualifikationsgesprächen!
Wir fordern die Abschaffung der Rankings von öffentlichen Betrieben!

… (Fortsetzung folgt)